Auf unserer Reise nach Jerusalem stießen wir wiederholt auf Spuren des Apostels Paulus. Er ist neben Jesus eine der prägendsten Persönlichkeiten des Neuen Testaments. Wie bei den meisten biblischen Charakteren wissen wir über seine Biografie nur Bruchstückhaftes. Anhand einiger Eckpunkte kann jedoch ein ungefähres Lebensbild von ihm entworfen werden, wobei immer unterschiedliche Varianten möglich sind. Damit man sich Paulus als Person besser vorstellen kann, zeigen wir hier einen wahrscheinlichen Lebenslauf von ihm, ohne jeweils auf alternative Versionen einzugehen, da das den Rahmen dieser Ausführungen sprengen würde.
Paulus wurde in Tarsus, in der heutigen Türkei, in eine jüdische Familie aus dem Stamm Benjamin hineingeboren (Römer 11,1 / Philipper 3,5). Er wird in der Bibel zuerst als Saulus bezeichnet und erst später als Paulus. Durch seinen Vater erhielt er das römische Bürgerrecht und hatte damit mehr Bewegungsfreiheit und Rechte als andere Menschen im Römischen Reich. Tarsus war ein Zentrum stoischer Philosophie. Die Leute der Stadt übertrafen in ihrem Eifer für Philosophie und Bildung im Allgemeinen selbst Athen und Alexandria (vgl. Apostelgeschichte 21,39), was sicher auch Paulus geprägt hat. Paulus war von Beruf Zeltmacher. Dem sozialen Status nach zählten Zeltmacher zur unteren Mittelschicht.
Aus dem 2. Jahrhundert ist uns folgende Personenbeschreibung überliefert: „Ein Mann klein von Gestalt, mit kahlem Kopf und krummen Beinen, in edler Haltung, mit zusammengewachsenen Augenbrauen und ein klein wenig hervorstehender Nase, voller Freundlichkeit. Bald erschien er als Mensch, bald hatte er eines Engels Angesicht.“ Paulus war von Jugend an sehr religiös. Er gehörte zur jüdischen Glaubensrichtung der Pharisäer und studierte in Jerusalem beim angesehenen Rabbiner Gamaliel (Apostelgeschichte 22,3).
Bei der Steinigung von Stephanus tritt Paulus das erste Mal in der Bibel in Erscheinung. Dort wird berichtet, dass er die Kleider der Steiniger bewachte (Apostelgeschichte 7,58). Anschließend verfolgte er die Jesus-Nachfolger bis nach Damaskus in Syrien. Auf dem Weg dorthin erschien ihm ca. 37 n. Chr. Jesus. Paulus erblindete bei dieser Begegnung mit Jesus. Durch das Gebet des Ananias erhielt er sein Augenlicht wieder (Apostelgeschichte 9,1–18). Nach Galater 1,17 zog er sich unmittelbar danach für einige Zeit nach Arabien zurück. In der Einsamkeit offenbarte ihm Jesus die Zusammenhänge der biblischen Schriften. Nach ca. drei Jahren kehrte er nach Damaskus zurück und konnte vom Wort Gottes her nachweisen, dass Jesus der jüdische Messias ist. Das trieb seine jüdischen Glaubensgenossen in die Enge, so dass sie ihm nachstellten und er flüchten musste (Apostelgeschichte 9,23–25).
Als Paulus nach Jerusalem kam, fürchteten sich alle Jesus-Nachfolger vor ihm, da sie ihn als Verfolger kannten. Barnabas schenkte ihm jedoch Vertrauen (Apostelgeschichte 9,27) und brachte ihn zu Petrus und Jakobus, dem Bruder von Jesus (Galater 1,18–19). Paulus trat in Jerusalem zunächst nicht öffentlich auf (Galater 1,22). Anscheinend entstand aber zwischen ihm und hellenistischen Juden ein Streitgespräch. Als Paulus merkte, dass sie ihm nach dem Leben trachteten, kehrte er in seine Heimatstadt Tarsus zurück (Apostelgeschichte 9,29–31).
Einige Zeit später kamen in Antiochia in Syrien Nichtjuden durch zypriotische und afrikanische Jesus-Nachfolger zum Glauben an den jüdischen Messias Jesus. Die Gemeinde in Jerusalem sandte den Zyprioten Barnabas zu ihnen, um sich ein Bild der Lage zu verschaffen (Apostelgeschichte 11,20–24). Barnabas holte daraufhin Paulus nach Antiochia (Apostelgeschichte 11,26). Gemeinsam unterrichteten sie ein Jahr lang die Gemeinde. Hier wurden die Jesus-Nachfolger zum ersten Mal Christen genannt. Der griechische Ausdruck „Christen“ bedeutet auf Deutsch „Gesalbte“ und auf Hebräisch „Messianische“.
Paulus und Barnabas wurden mit Spenden aus Antiochia zu den Ältesten nach Jerusalem geschickt (Apostelgeschichte 11,30). Zu dieser Zeit wurde Jakobus, der Bruder des Johannes, von Herodes Agrippa I. hingerichtet. Petrus warf man ins Gefängnis, doch ein Engel befreite ihn wieder. Die Gläubigen in Jerusalem beteten im Elternhaus von Johannes Markus für Petrus (Apostelgeschichte 12,12). Es könnte sein, dass sich auch Paulus und Barnabas unter den dort Versammelten befanden. Agrippa I. starb 44 n. Chr., nachdem er sich als Gott hatte verehren lassen. Anschließend kehrten Paulus und Barnabas zusammen mit Johannes Markus nach Antiochia zurück, wo sie die Gemeinde unterrichteten. Während einer Fastenzeit zeigte der Heilige Geist den Gläubigen, dass Barnabas und Paulus für den Reisedienst freigestellt werden sollten (Apostelgeschichte 13,2).
Zusammen mit Johannes Markus begaben sie sich zum Hafen in Seleukia und segelten nach Salamis auf Zypern. Von dort gingen sie zu Fuß nach Paphos. Sie besuchten den Gouverneur Sergius Paulus, der einen jüdischen Propheten mit Namen Bar-Jesus (Sohn von Jesus) bei sich hatte (Apostelgeschichte 13,6–7). Dieser widersetzte sich Barnabas und Paulus. Durch Gottes Geist geleitet sprach Paulus ihn an, woraufhin Bar-Jesus erblindete. Als der Gouverneur das sah, glaubte er an Jesus. So wurde Zypern zur ersten von einem Christen verwalteten römischen Provinz. Es war auch das erste Wunder, das uns von Paulus bezeugt ist. Ab diesem Moment wird Paulus in der Bibel nicht mehr Saulus, sondern Paulus genannt. Saulus bedeutet der „Erbetene, Erfragte“. Paulus heißt der „Kleine, Jüngere“. Eventuell hatte Paulus schon seit der Geburt beide Namen.
Von Zypern aus segelten sie zu dritt nach Perge. Paulus und Barnabas reisten weiter nach Antiochia in Pisidien, während Johannes Markus nach Jerusalem zurückkehrte. Paulus muss dieses Verhalten geärgert haben, denn später weigerte er sich, Markus auf eine weitere Reise mitzunehmen (Apostelgeschichte 15,37–38).
In Antiochia in Pisidien wollten viele Menschen Paulus und Barnabas hören. Das erregte die Eifersucht der dortigen jüdischen Einwohner (Apostelgeschichte 13,45). Sie widersprachen Paulus und spotteten. Paulus und Barnabas wandten sich daraufhin den Nichtjuden zu, bis der Widerstand so groß wurde, dass sie den Ort in Richtung Ikonion verlassen mussten. Dort hielten sie sich länger auf (Apostelgeschichte 14,3). Gott bestätigte ihren Dienst mit Zeichen und Wundern. Als ihnen bewusst wurde, dass man sie in Ikonion steinigen wollte, wichen sie nach Lystra und Derbe aus. In Lystra heilte Paulus einen gelähmten Mann. Als die Bewohner Zeuge dieses Wunders wurden, wollten sie Paulus und Barnabas als griechische Götter verehren. Paulus und Barnabas konnten die Menge jedoch wieder beruhigen. Kurz danach wiegelten jüdische Bürger aus Antiochia und Ikonion das Volk derart auf, dass der Mob schließlich mit Steinen auf Paulus losging. Zuletzt dachte man, Paulus sei tot. Er stand jedoch wieder auf und zog mit Barnabas nach Derbe, wo sie eine Weile bleiben konnten. Obwohl Paulus und Barnabas um ihr Leben fürchten mussten, entschlossen sie sich, die neu entstandenen Gemeinden in Lystra und Ikonion nochmals zu besuchen. Es wäre sicherer gewesen, den Weg über die Berge nach Tarsus zu wählen. Von Attalia (Antalya) segelten sie schließlich nach Antiochia in Syrien zurück und beendeten damit ihre erste Reise.
Sie waren bereits längere Zeit in Antiochia, als unter den Jesus-Nachfolgern aufgrund der Lehren einiger Wanderprediger aus Judäa eine Verwirrung entstand. Diese behaupteten, die Nichtjuden unter den Gläubigen müssten zum Judentum konvertieren. Die Gemeinde in Antiochia entschied, Paulus und Barnabas nach Jerusalem zu senden, um die Frage dort mit den Aposteln zu erörtern. Wie bereits 14 Jahre zuvor, war Paulus nun wieder in Jerusalem (Galater 2,1). Das Apostelkonzil, an dem Paulus teilnahm, kam zum Schluss, dass Nichtjuden nicht alle jüdischen Gebote halten müssten. Sie sollten sich jedoch fernhalten vom Götzendienst, vom Blutkonsum, vom Verzehr erstickter Tiere und von jedem unerlaubten Geschlechtsverkehr. Damit wurde bestätigt, dass der Glaube an Jesus nicht auf rituellen Handlungen gründet, sondern auf einer Herzenshaltung.
Paulus und Barnabas waren anschließend wieder in Antiochia tätig. Als Paulus vorschlug, die neu gegründeten Gemeinden zu besuchen, waren er und Barnabas unterschiedlicher Meinung wegen Johannes Markus. So kam es, dass Barnabas mit Johannes Markus nach Zypern reiste und Paulus mit seinem neuen Mitarbeiter Silas Syrien und Cilicien durchzog. Paulus und Silas kamen auch nach Derbe und Lystra. Dort lernte Paulus Timotheus kennen und nahm ihn mit auf die weitere Reise. Sie kamen nach Troas, da Gottes Geist es ihnen nicht erlaubt hatte, nach Asia beziehungsweise nach Bithynien zu reisen. In Troas hatte Paulus einen Traum, in dem er einen makedonischen Mann sah. Er und seine Mitarbeiter schlossen daraus, dass sie in die römische Provinz Macedonia weiterreisen sollten. Von Troas reiste auch Lukas mit ihnen nach Philippi. Sie segelten über die Insel Samothraki nach Neapolis und von dort marschierten sie zu Fuß nach Philippi. In Philippi ließ sich Lydia als erste Jesus-Nachfolgerin in Europa taufen. Nach einem Aufruhr bekannte sich auch der Gefängnisaufseher zum neuen Glauben und ließ sich und seine ganze Familie taufen. Paulus, Silas und Timotheus reisten entlang der Via Egnatia über Amphipolis und Appolonia nach Thessalonich. Dort predigten sie in der Synagoge. Nach drei Wochen wurden sie aus der Stadt geworfen, da sie Jesus als König bezeichneten. So zogen sie nach Beröa. Dort waren die Leute freundlicher gesinnt und prüften nach, ob die Lehre des Paulus mit den jüdischen Schriften übereinstimmte. Als jedoch Bewohner aus Thessalonich nach Beröa kamen, war Paulus gezwungen weiterzureisen. Silas und Timotheus blieben in Beröa (Apostelgeschichte 17,14).
Bei seinem Aufenthalt in Athen ging Paulus auf den Marktplatz und diskutierte mit den Leuten. So kam es, dass er vor das Stadtgremium (Areopag) gebracht wurde. Einige Athener ließen sich vom Glauben an Jesus überzeugen, so zum Beispiel Dionysius aus dem Stadtrat sowie eine Damaris. Silas und Timotheus gesellten sich in Athen wieder zu Paulus. Timotheus wurde von da nach Thessalonich gesandt (1. Thessalonicher 3,2).
Paulus zog weiter nach Korinth. Dort lernte er Aquila und Priszilla kennen, die ursprünglich aus Rom stammten, ihre Stadt jedoch im Jahr 49 im Zuge der Ausweisung aller Juden aus Rom durch Kaiser Claudius verlassen hatten (Apostelgeschichte 18,1). Auch Silas und Timotheus kamen nach Korinth (Apostelgeschichte 18,5). Zuerst hatte Paulus nicht vorgehabt, sich länger in Korinth aufzuhalten, doch in einer nächtlichen Erscheinung erhielt er den Auftrag zu bleiben. So lehrte er ein Jahr und sechs Monate in Korinth das Wort Gottes. Er schrieb in dieser Zeit auch die Briefe an die Thessalonicher. Zuletzt wurde er in Korinth angeklagt, jedoch ohne Erfolg.
Nachdem er sich in Kenchreä, dem korinthischen Hafen, aufgrund einer Weihe für Gott die Haare schneiden ließ, reiste er mit Aquila und Priszilla nach Ephesus. Diese blieben in Ephesus und trafen dort später auf Apollos (Apostelgeschichte 18,19.26). Silas hielt sich anscheinend weiterhin in Korinth auf. Paulus segelte einige Tage später von Ephesus nach Cäsarea Maritima und kehrte von dort zu Fuß nach Antiochia in Syrien zurück. So beendete er seine zweite Reise.
Nach einiger Zeit machte er sich wieder auf den Weg und besuchte die Gemeinden, die auf der ersten Reise von ihm gegründet worden waren. Anschließend ging er nach Ephesus. Dort hatte unterdessen Apollos gelehrt, dass Jesus der erwartete jüdische Messias sei. Als Paulus in Ephesus ankam, stellte er fest, dass die Leute zwar verstanden hatten, dass Jesus der in der Schrift vorhergesagte Messias ist, doch sie lebten nicht mit der Realität des Heiligen Geistes. Paulus blieb in Ephesus und predigte das Reich Gottes. Während einer Zeit von mehr als zwei Jahren wirkte er in dieser Stadt. Es geschahen ungewöhnliche Wunder. Menschen erlebten Heilung, wenn ein Schweißtuch von Paulus auf sie gelegt wurde. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Botschaft von Jesus in der ganzen Provinz Asia. Paulus sandte Timotheus und Erastus nach Macedonia. In Ephesus schrieb Paulus den ersten Brief an die Korinther und wahrscheinlich auch den Galaterbrief (u. a. an die Gemeinden in Antiochia Pisidien, Ikonium, Lystra und Derbe).
Doch eines Tages begannen die Silberschmiede in Ephesus um ihr Geschäft mit der großen Göttin Artemis (Diana) zu fürchten und veranstalteten einen Aufruhr gegen Paulus. Paulus reiste daraufhin nach Macedonia. In Philippi schrieb er möglicherweise den zweiten Brief an die Korinther. Dann besuchte er Griechenland (Athen und Korinth). Der Römerbrief könnte während dieser Zeit geschrieben worden sein (Apostelgeschichte 19,21). Paulus reiste wieder über Macedonia und Philippi nach Troas, ab Philippi wieder in Begleitung von Lukas (Apos-telgeschichte 20,6).
Vor seiner Abreise in Troas predigte Paulus sehr lange. Dabei schlief ein Zuhörer namens Eutychus ein und fiel vom dritten Stock in die Tiefe. Er wurde tot geborgen. Paulus erweckte ihn jedoch wieder zum Leben. Am nächsten Morgen machte sich Paulus alleine und zu Fuß auf den Weg nach Assos. Von dort segelte er über Mitylene, Chios und Samos nach Milet, wo er sich mit den Ältesten aus Ephesus traf. Mit seinen Mitarbeitern segelte er weiter über Kos und Rhodos nach Patara. Dort fanden sie ein Schiff, das nach Tyrus (im heutigen Libanon) segelte. Zu Fuß gingen sie nach Ptolomais (Akko) und danach über Cäsarea bis nach Jerusalem, wo er seine dritte Reise beendete.
Als Paulus in Jerusalem war, wiegelten Juden aus der Provinz Asia das Volk gegen ihn auf. Daraufhin verbrachte Paulus ohne rechtmäßige Verurteilung zwei Jahre in Gefangenschaft in Cäsarea. Als 60 n. Chr. Festus Statthalter wurde, rollte man den Fall Paulus erneut auf. Da Paulus sich auf den römischen Kaiser berief, wurde er nach Rom gesandt. Von Cäsarea segelte er unter römischer Bewachung und in Begleitung von Lukas und eventuell auch anderen Mitarbeitern über Sidon nach Myra und um Kreta herum. Nach einem Schiffbruch landeten sie schließlich in Rom. Dort befand sich Paulus zwei Jahre lang als Gefangener in einer Mietwohnung (Apostelgeschichte 28,30). Er schrieb Briefe an die Epheser, Philipper, Kolosser und an Philemon.
Paulus muss noch weitere Reisen unternommen haben. In seinen Briefen an Titus und Timotheus erwähnt er unterschiedliche Reiseziele. Der zweite Brief an Timotheus scheint sein letzter Brief gewesen zu sein. Einerseits drückt Paulus darin die innere Zuversicht aus, bald seinen Lauf vollendet zu haben und den Siegeskranz empfangen zu dürfen (2. Timotheus 4,7–8). Auf der anderen Seite schreibt er, dass er von allen verlassen worden sei (2. Timotheus 4,16). Sein Triumph ist die innere Gewissheit der unzertrennbaren Gemeinschaft mit Jesus in alle Ewigkeit: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn“ (Römer 8,38–39).